Der Begriff Salutogenese kommt aus dem Lateinischen. Salus heißt Unverletztheit, Heil, Glück. Genese ist griechisch und heißt Entstehung. Wörtlich könnte man also übersetzen: Gesundheitsentstehung oder -erzeugung. Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923 – 1994) sieht Gesundheit oder Krankheit nicht als ein „Entweder – Oder“, sondern als zwei entgegengesetzte Punkte auf einer Geraden. Die beiden Endpunkte werden nie ganz erreicht. Kein lebender Mensch ist ganz krank oder ganz gesund. Selbst an einem Todkranken sind noch Teile oder einzelne Organe gesund. Auf der anderen Seite hat jeder scheinbar völlig Gesunde auch ein Gebrechen. Denken wir nur an Kurzsichtige, die ohne ihre Brille verloren wären, aber sonst gesund sind.
Die wichtigste Frage ist jetzt: In welche Richtung bewege ich mich? Lebe ich in Richtung Gesundheit oder in Richtung Krankheit? Jeder Mensch nimmt ganz individuell seine Stellung zwischen den beiden Endpunkten ein. Gesundheit sieht er nicht als Zustand, sondern als Prozess. Der Verlust der Gesundheit ist ein natürlicher und gegenwärtiger Vorgang. Im Volksmund heißt es: Bei der Geburt fängt man bereits zu sterben an. So gesehen muss Gesundheit immer wieder neu aufgebaut werden. Machen wir uns nun Gedanken, was die Gesundheit fördert.
Verstehen und Vertrauen
Wenn ich verstehe, was in meinem Leben und in meiner Umwelt vor sich geht, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, dann kann ich viel besser damit umgehen. Wenn ich weiß, woher ich komme, wozu ich lebe und wohin ich gehe, habe ich viel mehr Vertrauen in mein Leben. Das dient meiner Gesundheit. Das, was mir passiert, kann ich weitgehend verstehen, es ist größtenteils vorhersehbar und erklärbar. Dabei muss ich aber nicht alles begreifen, dazu ist das Leben zu vielschichtig. Es stellt mich vor große Herausforderungen; aber ich kann sie bewältigen, und der Einsatz lohnt sich.
Ich darf aber auch Grenzen setzen. Und innerhalb dieser Grenzen liegen meine Gefühle, meine wichtigsten Tätigkeiten, meine Beziehungen zu anderen Menschen und existentielle Fragen wie persönliche Fehler, Scheitern, Konflikte und der Umgang mit dem Tod.
Fassen wir zusammen: Ich soll mein Leben im Wesentlichen verstehen, bewältigen und den Sinn erkennen. Wie viele Menschen leiden aber, weil sie nicht verstehen, was mit ihnen passiert, weil sie keine Arbeit finden oder ihre ausfüllendste Tätigkeit keinen Sinn macht? Wenn mir das widerfährt: Kann ich etwas in meinem Leben ändern, oder muss ich meine Einstellung überdenken? Folgender Wahlspruch passt daher sehr gut: Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Kraftquellen und Ressourcen
Für die Gesundheit ist es ganz wichtig zu wissen, woher ich Kraft schöpfe. Manche Hilfsmittel liegen in mir selbst. Was kann ich selber tun, dass ich gesund bleibe? Oft ist es notwendig, Hilfe von außen anzunehmen. Freunde, Verwandte, Therapeuten und Ärzte können mir helfen. In konkreten Belastungsituationen gilt als sehr wichtige Quelle für die Gesundheit die Unterstützung von verlässlichen Bezugspersonen. Sie können die Wirkung von belastenden Lebensereignissen mildern. Das wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden aus. Den Glaubenden steht die allergrößte Kraftquelle zur Verfügung: Gott! Bin ich bereit, diese Kraftquellen außerhalb von mir anzunehmen?
Freude und Frohsinn
Herzensfreude und ein froher Sinn wirken wie Medizin. Die Wirksamkeit des Lachens ist wissenschaftlich nachgewiesen. Fröhlichkeit und Lachen sind wichtige Schutzfaktoren für das Herz-Kreislauf-System und für die Immunabwehr. Dauernder Kummer und Grübeln macht krank. Freudlosigkeit geht Hand in Hand mit Antriebslosigkeit und erhöhter Ermüdbarkeit. Andere Symptome kommen hinzu wie verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit. Dann ist es nicht mehr weit zum Verlust des Selbstvertrauens und des Selbstwertgefühls. Pessimistische Zukunftsperspektiven und Schlafstörungen plagen depressive Menschen.
Gesunder Schlaf
Erholsamer Schlaf ist für eine gute Gesundheit zweifellos notwendig. Man weiß, dass im Schlaf und beim Ausruhen Zellschäden und sogar Erbgut repariert werden können. Im Schlaf wird auch gelerntes Wissen gespeichert. Ein periodischer Wechsel zwischen seelischer und körperlicher Anstrengung und Entspannungsphasen ist lebensnotwendig.
Mäßigkeit beim Essen hält jung
Auf einer japanischen Insel leben viele Hundertjährige. Wenn man sie über das Geheimnis ihres Alters befragt, geben viele von ihnen zur Antwort: „Höre auf zu essen, bevor du ganz satt bist“. Eine eingeschränkte Energiezufuhr hält tatsächlich jung und gesund. Der Körper produziert dann Stoffe, man nennt sie Sirtuine, die den Zellstoffwechsel beeinflussen. Die Zellen leben länger und es bleibt länger Zeit, um Gendefekte zu reparieren. Unsere Überflussgesellschaft mit den Verlockungen des Augenblicks täte gut daran, maßvoll und langsam zu essen. Dann hat der Körper auch genug Zeit, um das Appetitzentrum im Hypothalamus zu informieren, dass genug Nahrung angekommen ist und man sich satt fühlt.
Gesundheit als Menschenrecht
Gesundheit ist ein fundamentales Menschenrecht. Sie stellt sich aber nicht von alleine ein. Wenn sich etwas selbst überlassen wird, geht es immer in Richtung Chaos. Denken wir an Zimmer, in denen nicht aufgeräumt wird. Gesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens. Es ist ein positives Konzept, das den Staat genauso herausfordert wie den Einzelnen. Schauen wir nicht hauptsächlich auf das, was krank macht, sondern auf das, was gesund macht oder gesund erhält. Das ist das Prinzip der Salutogenese.
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Esther Neumann studierte Ernährungswissenschaften auf der Universität Wien. Seitdem schrieb sie für viele Jahre für das Gesundheitsmagazin „Leben und Gesundheit“, und führte Gesundheitsvorträge in vielen Orten Österreichs durch.
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